Die Ausstellungswelt befindet sich im Wandel, und das ist gut so!

Selten hat mich eine Ausstellung so berührt, wie die derzeitige Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Denn es geht bei »Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute«, wie es der Name bereits verrät, um eine überaus brisante, hasserfüllte Thematik mit brennender Aktualität.

Wer den Weg hierher findet, sieht sich unweigerlich mit einer Fülle von kleinformatiger Propaganda konfrontiert, die zu einer ganzen Reihe von Gefühlen, Reaktionen und Fragen führt, mit denen es sich auseinanderzusetzen gilt. Ich gebe an dieser Stelle offen und ehrlich zu, dass ich selbst nach einer Woche nicht am Endpunkt dieser Debatte mit mir selbst angekommen bin – denn was ich sah, bleibt haftend in meiner Erinnerung, ebenso wie das Medium des Aufklebers selbst nur schwer von einem Laternenpfahl zu lösen ist.

Bedeutet dies, dass die Sonderausstellung nicht empfehlenswert ist?

Keinesfalls!

Denn worum, wenn nicht um die Auseinandersetzung mit dem Gesehenen, geht es wirklich, wenn wir Museen besuchen? Persönlich empfinde ich die Angezettelt-Ausstellung als riesigen Erfolg, und ich erkläre euch auch gerne warum.

Ausstellungsplakat © Thomas Bruns

Ausstellungsplakat © Thomas Bruns

Ohne Denkanstoß nix los!

Die bisherigen readTicker haben es uns hier auf KuKu immer wieder gezeigt: Der Aufruf an die Museen etwas an den herkömmlichen Ausstellungskonzeptionen zu ändern, ist groß. Insbesondere nach »Eyes of War« und »Homosexualitäten« zeigt das Deutsche Historische Museum in Berlin nun mit »Angezettelt«, dass man diesen Ruf gehört hat und bereit ist, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, dass mehrere Sichtweisen präsentiert werden. Zu diesem Zweck wurden die unterschiedlichsten Experten zum Thema in die gesamte Ausstellungskonzeption eingebunden, was ebenfalls als direkte Antwort auf die Forderungen des Deutschen Museumsbundes bezüglich des im letzten readTicker behandelten Themas »Museen, Migration und kulturelle Vielfalt« gesehen werden kann.

Es geht darum, Raum für Reflektion und Kritik zu schaffen

Zum einen zeigt die Wahl des Themas den Mut zur Lücke. Denn während Antisemitismus, Rassismus und Feindbilder bis heute Gegenstand des alltäglichen Lebens in unserer Gesellschaft sind, will dies nicht unbedingt jeder wahr haben oder gar sehen. Das Deutsche Historische Museum zeigt seine Ausstellung dennoch, wohl wissend, dass auch ganz andere Faktoren mitschwingen, die negativ ausgelegt werden könnten, wenn man es denn wollte. Und so stellt man sich gleich zu Anfang der Angezettelt-Ausstellung der Frage, ob derart menschenfeindliche Äußerungen überhaupt im öffentlichen, musealen Raum ausgestellt werden sollten? Immerhin gibt man auf diese Weise die Aussagen der Propagandasticker unweigerlich an das Publikum weiter.

Nicht das »Ob?« sondern das »Wie?« ist bei der Frage nach dem Ausstellungskonzept entscheidend

Um die brenzliche Thematik mit der gebührenden Vorsicht auszustellen, greift man im Deutschen Historischen Museum auf ein besonderes Ausstellungskonzept zurück, das die Sticker nicht in einzelnen Vitrinen zur Schau stellt, sondern auf grob gerasterten, überdimensionalen Bildern integriert, die historische Orte oder auch Alltagssituationen widerspiegeln. Auf diese Weise wird den Besuchern hier nichts serviert – man muss sich selbst auf die Suche begeben, wobei man sich unweigerlich mit der Gesamtproblematik der Aussage auf den jeweiligen Stickern auseinandersetzt und diese folglich ganz anders betrachtet. Es wird also bewusst auf herkömmliche repräsentative Rahmen verzichtet, um die aktive Beteiligung der Museusbesucher zu fördern.

Offenheit gegenüber Sprachen und möglichen Sprachbarrieren hebt den Inhalt einer Ausstellung zu bislang unerreichten Höhen

Zu diesem Zweck wurden ebenfalls insgesamt sieben Kommunikationsstationen in die Ausstellung integriert, deren Kernstück ein drehbareres Sechseck darstellt, auf dessen Seiten Informationen in englischer, deutscher und leichter Sprache, aber auch in Brailleschrift und Audio- oder Videoformat mit integrierter Gebärdensprache gegeben sind. Hier finden sich beispielsweise Erklärungen zu den wichtigsten Begriffen in der Ausstellung. Es werden aber auch Fragen gestellt, die nicht nur beantwortet werden, sondern auch zum Nachdenken anregen. Komplizierte Sachverhalte entfalten sich hier zu einem leicht greifbaren Verständnis.

Jedem sollte der eigenständige Weg ins Museum offen stehen!

Zudem wird Barrierefreiheit in der Angezettelt-Ausstellung wahrhaft großgeschrieben. Neben den inklusiven Kommunikationsstationen ist, wie schon bei der »Eyes of War«-Ausstellung, ein taktiles Leitsystem vorhanden, das den eigenständigen Besuch für Blinde und Sehbehinderte ermöglicht. Dazu gehört auch ein ertastbarer Grundriss der gesamten Ausstellungsfläche, der sich direkt am Eingang zur Ausstellung befindet und auf Wunsch per Audioerklärung unterstützt werden kann. Besonders hervorzuheben ist, dass der Grundriss nicht nur in deutscher, sondern auch in englischer Brailleschrift zur Verfügung steht.

«Eile mit Weile«, sagte bereits William Shakespeare

Sitzgelegenheiten sind bis heute ein selten gesehenes Element in den Ausstellungen unserer Museen. Schade, denn zu gerne würde man sich hier und da die Zeit nehmen, sich das ein oder andere Exponat im Detail anzusehen. Ob aufgrund der Barrierefreiheit oder der Einsicht, dass das hier Ausgestellte durchaus berührend, ja sogar erdrückend wirken, und zu einem Drang sich hinzusetzten führen kann – hier gibt es sie, die kleinen Hocker und Bänke, auf denen man sich selbst und alle einprasselnden Eindrücke einfach fallen lassen kann.

Gedankensammlung am Ende der Ausstellung

Positiv bewerte ich auch die am Ende der Ausstellung gelegene Mitmachwerkstatt, an der es jedem Besucher frei steht, einen eigenen Sticker zu entwerfen. Dazu stehen viele Farben, Klebezettel und Stifte zur Verfügung und es hat sich seit Ausstellungsbeginn eine ganze Reihe an Aufklebern an den dazugehörigen Wänden gesammelt. Ebenso wie auf den echten Straßen unserer Welt, finden sich auch hier Aussagen jeglicher Richtungen, von »Atomkraft. Nein Danke!« über »Anna liebt Paul« bis hin zu tiefgründigen Aussagen rund um alles, was die vorhergehende Ausstellung in den Köpfen der Menschen bewegt hat.

Schlusswort

Auf die ausführliche Wiedergabe inhaltlicher Details der Ausstellung und ihrer Exponate verzichte ich an dieser Stelle bewusst. Einerseits, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man sich einer derart schwierigen und auch herausfordernden Thematik auf ganz individuelle Weise nähern sollte. Andererseits, weil ich derzeit noch überlege, ob ich den Ausstellungskatalog zu »Angezettelt« als Gegenstand des nächsten readTickers verwenden werde.

Jedem, der in Berlin ist oder demnächst dorthin reisen wird, kann ich persönlich nur wärmstens den Gang in das Deutsche Historische Museum empfehlen. Ich bin mir sicher, dass ihr die Ausstellung mit einem ganz neuen Blick auf die Dinge verlassen werdet und freue mich wie immer über Feedback zu euren Erlebnissen vor Ort.


Weitere Informationen zu dieser Sonderausstellung:

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[su_tab title=“Wann?„]

Zu sehen vom 20. April bis 31. Juli 2016

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[su_tab title=“Wo?„]

Deutsches Historisches Museum Berlin, Unter den Linden 2, 10117 Berlin

Tel. Dauerausstellung: +49 30 20304-751

Tel. Sonderausstellungen: +49 30 20304-750

Barrierefreier Zugang

Hinweise zur Erreichbarkeit:

S-Bahn: Hackescher Markt und Friedrichstraße

U-Bahn: Französische Straße, Friedrichstraße und Hausvogteiplatz

Buslinien: 100, 200, TXL Staatsoper oder Lustgarten

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[su_tab title=“Öffnungszeiten„]

Täglich 10 – 18 Uhr
Geschlossen am 24. Dezember[/su_tab]

[su_tab title=“Kosten„]

Erwachsene: 8 €

Ermäßigt: 4 €

Eintritt bis 18 Jahre frei!

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[su_tab title=“Sonstiges„]

Hier geht es zur Homepage des Deutschen Historischen Museums.

Die Beschreibung zur Sonderausstellung ist hier nachzulesen oder aber im Flyer zur Ausstelung.

Weitere Informationen zu den inklusiven Stationen gibt es hier.

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Wissenswertes zu den geplanten Veranstaltungen des Deutschen Historischen Museums Berlin in Bezug auf die Ausstellung »Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute«

 

  • Kostenfreie dialogische Führungen finden in der Ausstellungshalle im Erdgeschoss um 18:00 Uhr statt am:

Mittwoch den 20. April 2016: Sammler und Jäger

Mittwoch den 15. Juni 2016: Gefühl und Design

Mittwoch den 29. Juni: Bild und Recht

  • Darüber hinaus finden jeden Montag um 14:00 Uhr und jeden Sonntag um 13:00 Uhr deutschsprachige Überblicksführungen statt.

Kostenpunkt 4 EURO zzgl. Eintritt.

Dauer etwa 60 Minuten.

Alle Termine findet ihr hier.

  • Zudem werden englischsprachige Führungen an Freitagen um 15:00 Uhr angeboten.

Kostenpunkt 4 EURO zzgl. Eintritt.

Dauer etwa 60 Minuten.

Alle Termine findet ihr hier.

 

  • An den Familiensonntagen gibt es immer um 14:00 Uhr eine Familienführung. Nach Angaben des Museums ist dieses Angebot geeignet für Kinder ab 8 Jahren.

Kostenpunkt 2 EURO zzgl. Eintritt.

Dauer etwa 90 Minuten.

 

  • Für Blinde und Sehbehinderte gibt es um 13:00 Uhr Führungen durch die Ausstellung am:

Mittwoch den 4. Mai 2016

Mittwoch den 06.Juli 2016

Kostenpunkt 4 EURO zzgl. Eintritt.

  • Darüber hinaus werden ebenfalls Führungen mit Übersetzung in Deutsche Gebärdensprache angeboten, und zwar immer um 14: 00 Uhr am:

Donnerstag den 15. Mai

Donnerstag den 9. Juni

Donnerstag den 14. Juli

Dies und vieles mehr findet ihr ebenfalls auf der Homepage des Deutschen Historischen Museums. Dazu zählen auch die Angebote für Schulen und Lehrer!!!


PS: Wenn ihr ohnehin schon dort seid, solltet ihr unbedingt auch bei der Fotoausstellung „Relikte des Kalten Krieges“ vorbeischauen. Lest dazu auch den Ausstellungstipp.

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