Wenn es unter den Fußsohlen juckt, liegt die letzte Wanderung definitiv zu weit zurück. In Zeiten der Pandemie stehen monatelange Abenteuer entlang der Fernwanderwege entfernter Länder jedoch ganz offensichtlich nicht auf dem Programm; was bleibt ist daher nur die Wildnis vor der eigenen Haustür. Und so hieß es im Sommer 2021 im Gegensatz zu 3500 Kilometern, 14 US-Bundesstaaten und 180 Tagen für Nadine stattdessen 150 Kilometer quer durch Jütland über den Küste-zu-Küste-Pfad an immerhin sechs Tagen.

Von Bunkerpferd bis Blütenpracht

Startpunkt der Strecke ist Blåvandshuk Fyr, der westlichste Leuchtturm Dänemarks. Hier stolpert man direkt hinein in die Geschichte, aber auch unweigerlich über Kust in durchaus kurioser Form. Denn bis heute sind hier, wie an vielen weiteren Teilen der dänischen Westküste, Spuren des Zweiten Weltkriegs unübersehbar. In kurzen Abständen reiht sich Bunker an Bunker, einst Teil des von den deutschen Besatzern errichteten Atlantikwalls zum Schutz vor einer Invasion alliierter Truppen. Schön ist das nicht, aber ein Abriss schlichtweg viel zu kostenintensiv. Und so hat man sich an diesem Abschnitt der Küste etwas Besonderes ausgedacht. Daher stolpert das Auge des Betrachters an diesem Strandabschnitt nicht über reine Bunker, sondern über die sogenannten Friedenspferde, denn seit 1995 zieren Pferdeköpfe und -schweife des britischen Künstlers Bill Woodrow die grauen Riesen. Die Reaktionen hierauf dürften sich von einem japsenden »ach du Schreck!« bis hin zum »yeeeeehaaaah« eines waschechten Cowboys erstrecken, aber Geschmack liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters.

Die Friedenspferde des britischen Künstlers Bill Woodrow stehen ganz im Sinne von KuKus »Kunst – immer und überall«

Von hier aus führt der Weg schon bald ab vom Strand und durch die sandigen Dünen, gefolgt von Wiesen und Feldern so weit das Auge reicht. Erst gute 24 Kilometer weiter liegt die erste Kleinstadt. Varde ist der Verwaltungssitz der gleichnamigen Kommune. Die Region ist nachweislich schon seit der Bronzezeit besiedelt und so gibt es hier für Geschichtsinteressierte weitaus mehr als Weltkriegsbunker zu entdecken.

Etwa 10 Kilometer östlich von Varde liegt inmitten der eher kargen westjütländischen Natur die 25.000 m2 große Gartenanlage Tambours Have. Bereits im Jahr 1939 vom Schneidermeister Gerhard Tambour angelegt und seit dessen Tod 1979 von der Varde Kommune gepflegt, lässt es sich hier durch kleine Themengärten streifen, darunter einen Japanischen Garten, einen Medizingarten oder auch eine Orangerie. Neben den vielen unterschiedlichen Pflanzen zieren auch Wasserläufe und geschnitzte Holzfiguren die Pfade der Anlage.

Abstecher zum dänischen König Athur

Varde ist die erste und einzige Stadt, durch die es auf der gesamten Strecke geht. Hiernach folgt auf die Blütenpracht des Tambours Have wunderbar erholsam eine ganze Weile schlicht und ergreifend nichts außer Wildpferden, Kühen und einer wunderschönen Heidelandschaft. Eine willkommene Abwechslung stellt das Sägewerk bei Vester Starup, etwa 15 Kilometer weiter landeinwärts dar, denn hier begegnet man der riesigen Holzskulptur eines bärtigen Mannes mit Schwert und Helm.

Auf der Suche nach Antwort auf die Frage, um wen es sich hier handeln könnte, wird schnell kar: Er ist alles andere als namenlos, handelt es sich doch um Holger Danske, der quasi das dänische Äquivalent zum sagenhaften britischen König Arthur ist. Der Legende nach war Holger der Sohn des dänischen Königs Gudfred, der von 804 bis 810 in Haithabu residierte. Nachdem sein eigener Sohn von Karl dem Jüngeren erschlagen wurde, schwor Holger Rache, erschlug den Mörder seines Sohnes und widerstand hiernach sieben Jahre lang dessen Vater, Karl dem Großen, bis die beiden Männer Frieden schlossen und gemeinsam gegen die Sarazenen kämpften. Er soll bis heute im Schloss Kronborg, dem Hamletschloss nahe Kopenhagen, schlafen, bis zu dem Tag, an dem Dänemark die höchste Gefahr droht und dann erwachen, um die Nation zum Sieg zu führen. Bleibt also im Sinne der Dänen nur zu hoffen, dass der gute Mann im Fall der Fälle an der richtigen Stelle im Keller von Kronborg und nicht inmitten der jütländischen Einöde erwacht – vorausgesetzt, die Legendestimmt, versteht sich.

Endstation Vejle

Nicht weniger legendär geht es am Endpunkt der Reise zu, denn Vejle ist nicht nur eine der ältesten Seehandelsstädte an der jütländischen Ostküste, hier wurde ebenfalls von niemand geringerem als dem dänischen König Blauzahn die älteste Brücke des Landes errichtet.

Neben Kunst- und Geschichtsbegeisterten kommen hier definitiv Architekturliebhaber auf ihre Kosten, denn örtliche wie auch internationale Architekten und Künstler haben sich vielerorts im Stadtbild verewigt. Eines der ikonischsten Gebäude der Stadt ist das an der Hafenfront gelegene Fjordenhus des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson. Leider dient das Gebäude als Hauptsitz einer Firma, weshalb lediglich das Erdgeschoss öffentlich zugänglich ist – zumindest meistens.

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