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Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen
Hg.. Deutscher Museumsbund e.V (2013)

Es ist ein eigenartiges Gefühl vor dem Skelett eines Menschen zu stehen. Einerseits ist der Gedanke so abstrakt, dass einem die Tatsache eines menschlichen Überrestes schlichtweg nicht in den Kopf will. Andererseits weiß man sehr wohl, womit man es zu tun hat. Zumindest mir erging es so, als ich vor einigen Jahren einen Paläopathologiekursus an der Universität belegt und die Knochen eines Mannes aus dem Mittelalter vor mir auf dem Tisch ausgebreitet hatte.

Ich denke oft an diese Tage zurück, in denen mir dieser Unbekannte stets vertrauter wurde, obwohl er nur stillschweigend vor mir lag und ich lernte, ihm seine Geheimnisse zu entlocken. Bedingt durch diesen readTicker denke ich noch öfter an ihn. Besonders an sein Dasein in einem braunen Pappkarton, in den er gelangte, weil der Friedhof auf dem er einst bestattet worden war einem modernen Gebäude weichen musste.

Notgrabungen haben vielerlei Gründe. Neben bevorstehenden Baumaßnahmen sind häufig auch Wetterbedingungen und topographische Veränderungen die Ursache. Die Skelette auf diesem Bild mussten beispielsweise geborgen werden, weil Ebbe und Flut dem einstigen Mittelalterfriedhof an der Britischen Ostküste zum Verhängnis wurden.

Wenn das Gefühl von richtig und falsch nahe beieinanderliegt

Ob er diesem Schicksal zugestimmt hätte?

Diese Frage wird ihm niemand mehr stellen können. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er schockiert sein würde, wenn er wüsste, dass er und all die anderen Bestatteten ihre letzte Ruhe nicht auf ewig auf ihrem Friedhof gefunden haben.

Gleichzeitig stellt sich mir jedoch die Frage, was die Alternative gewesen wäre? Denn bleiben, das hätte er nicht können. Ein ungeduldiger Bauherr hätte seine Ruhe so oder so gestört. Vielleicht ist das Schicksal als Lehrobjekt also doch das geringere Übel? Darüber lässt sich mit Sicherheit streiten. Ich für meinen Teil habe meinen Frieden mit ihm gemacht und ich bin ihm – nach anfänglichen Berührungsängsten und Gewissensbissen – unendlich dankbar für alles, was er mit ganz ohne Worte erzählte.

Wenn ein Skelett zu sprechen beginnt

Es war die Geschichte eines Mannes, der während seines etwa 40 Jahre langen Lebens hart gearbeitet und viele Schmerzen erlitten hatte. Davon zeugten die Verschleißspuren an seinen Knochen, aber auch die Karies, die sich in seinen rechten Backenzahn gefressen und der ungewöhnlich dicke Oberschenkelknochen, auf dem sich eine Schwulst gebildet hatte. Obgleich es ein gutartiger Tumor war, so wird im das Laufen schwergefallen sein. Ich stellte mir den Gang dieses beachtlich großen Mannes gekrümmt und humpelnd vor. Am schlimmsten müssen für ihn aber die Zahnschmerzen gewesen sein.

Nur, weil man etwas nicht sieht, bedeutet es nicht, dass es nicht vorhanden ist

All jene Informationen, die ich damals erhielt, stammten von den sogenannten non-invasiven Methoden. Also jenen, die dem menschlichen Überrest keinen Schaden zufügen. Hierzu gehören beispielsweise auch jegliche 3D-Daten, die durch Computertomografie oder ähnliche Verfahren gesammelt werden können. Für eine lange Zeit waren diese Untersuchungen das einzige Analysewerkzeug. Doch das hat sich mittlerweile geändert. Und so gibt es heute eine Vielzahl an chemischen und naturwissenschaftlichen Methoden, die den Wissenschaftlern Antworten auf Fragen geben, welche sie vor knapp 20 Jahren nicht einmal zu stellen träumten.

Das einzige Problem dabei ist, dass für diese Methoden eine Probenentnahme, also eine Beschädigung des menschlichen Überrests notwendig ist. Und auch, wenn das meist nur wenige Milligram bedeutet, ist es doch ein unwiederbringlicher Verlust und Eingriff. Deshalb muss bei diesen Individuen ein Unrechtskontext im Vorfeld gänzlich ausgeschlossen werden.

Eines der bekanntesten invasiven Verfahren ist die Radiocarbonmethode (kurz C-14), die zur Altersbestimmung dient. Von Sgbeer (Eigenes Werk) [GFDL oder CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Jüngste Forschungsergebnisse haben gezeigt, wie viele Informationen sich aus Knochen, Haaren und Zähnen eines Individuums gewinnen lassen. Dazu zählen neben den Essgewohnheiten beispielsweise auch der Herkunftsort, die Reiseaktivität und der Gesundheitszustand.

Für mich zählt dieser Bereich der Forschung zu den faszinierendsten und ethisch problematischsten zugleich.

Wie seht ihr das?


Die invasiven Methoden im Überblick

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[su_spoiler title=“Radiokarbonmethode (C14)“] Die Radiokarbonmethode (kurz C14) zählt zu den bekanntesten Datierungsverfahren. Sie kann an Objekten angewendet werden, die nicht älter als 50.000 Jahre sind. In der Regel genügt eine 1g schwere Probe, aus welcher im Labor zunächst das Kollagen isoliert wird, um daraufhin 1mg Kohlenstoff zur Datierungsermittlung zu gewinnen. Wichtig zu bedenken ist, dass niemals eine jahresgenaue Datierung möglich ist. Dies liegt an der allgemeinen Standardabweichung, die je nach Alter mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte betragen kann. [/su_spoiler]

[su_spoiler title=“Isotopenanalyse „] Die Isotopenanalyse hat sich in den letzten Jahren immer weiter etabliert. Sie kann an Knochen, Zähnen, Haaren, Fingernägeln oder auch Textilien durchgeführt werden und ist ein effektives Mittel, um Informationen über die Ernährungsweise, den Herkunftsort und das Reiseverhalten eines Individuums zu erhalten. Besonders im Fokus der Wissenschaft liegen die stabilen Isotope von Strontium, Stickstoff und Kohlenstoff, die alle über die Nahrungskette in das menschliche Gewebe gelangen und sich dort ablagern. [/su_spoiler]

[su_spoiler title=“ Toxologische Analysen „] Toxologische Analysen an Haaren können ebenfalls sehr aufschlussreich sein. Durch sie können Informationen über Drogenkonsum und Medikamenteneinnahme in Erfahrung gebracht werden. [/su_spoiler]

[su_spoiler title=“ DNA-Analyse „] Neben der Radiokarbonmethode zählt die DNA-Analyse zu den wohl bekanntesten Verfahren. Die besten Quellen für unbeschädigte DNA sind der Wurzelkanal der Zähne, sowie Knochen und Weichgewebeproben (Bspw. Organe). Mit ihrer Hilfe lassen sich nützliche Hinweise auf Abstammungslinien und Bevölkerungszugehörigkeiten gewinen. [/su_spoiler]

[su_spoiler title=“Paläopathologische Methoden“] Darüber hinaus verfügt die Paläopathologie über eine ganze Reihe weiterer Methoden, die hilfreich bei der Suche nach Hinweisen auf Lebens- und Todesumstand eines Individuums geben können. Siehe auch. [/su_spoiler]

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Die non-invasiven Methoden im Überblick

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[su_spoiler title=“Surface Scanning (3D)“] In jüngster Zeit ist immer häufiger die Rede vom Surface Scanning. Dabei handelt es sich um den 3D-Scan eines Objekts. Dieser fügt dem zu untersuchenden Gegenstand keinen Schaden zu und wird aus diesem Grund auch immer beliebter. Denn mit ihm lassen sich Rekonstruktionen erarbeiten, an denen sich Fragestellungen und Theorien ausprobieren lassen, die sonst nur mit der Beschädigung des Objekts einhergehen würden. Neben Alltagsgegenständen sind besonders Knochen- und Schädelfragmente gut für diese Untersuchungsmethode geeignet.  [/su_spoiler]

[su_spoiler title=“Computertomographie (CT)“] Die Computertomographie eignet sich insbesondere für Weichgewebe, also beispielsweise Mumien, Moorleichen oder Organe. Ebenso wie beim lebenden Menschen macht diese Methode vieles Sichtbar, was sonst nur durch einen Eingriff in Erfahrung zu bringen wäre. Die Wahrscheinlichkeit eine Erlaubnis für diese Methode zu bekommen ist somit erheblich größer, als eine Probe entnehmen zu dürfen.  [/su_spoiler]

[su_spoiler title=“Magnetresonanztomographie (MRT)“] Die Magnetresonanztomographie https://de.wikipedia.org/wiki/Magnetresonanztomographie bringt ebenso wie die Computertomographie nützliche Einblicke in das Innere eines Körpers. [/su_spoiler]

[su_spoiler title=“Morphologische Methoden“] Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe morphologischer Methoden, die ebenfalls ohne jeglichen Eingriff Anwendung finden können. Dazu wird das Skelett auf einem Tisch ausgebreitet und gründlich dokumentiert. Welche Knochen sind vorhanden, welche nicht und wo sind Verletzungen oder Krankheitsbilder zu erkennen? Je nach Erhaltungsgrad des Skeletts ist zudem eine Geschlechtsdiagnose und eine Altersbestimmung möglich. Darüber hinaus geben insbesondere die Zähne wichtige Hinweise über Kost, Alter und auch Krankheiten.  [/su_spoiler]

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