Gelesen wird:
Museen, Migration und kulturelle Vielfalt. Handreichungen für die Museumsarbeit
Hg. Deutscher Museumsbund e. V. (2015)

Menschen mit Migrationshintergrund sind keine einheitliche Zielgruppe!

Ganz gleich an welchem Ort und in welcher Lebenslage: Der Mensch neigt dazu, alles zu kategorisieren. WIR sind gut und DIE sind böse. WIR leben gesund und DIE nicht. ICH bin ein Katzenmensch und DU bist ein Hundemensch. Wer nicht von hier ist, kommt zwangsläufig von wo anders und das bringt, mal mehr, mal weniger Ausgrenzung mit sich. Auch Museen sind von derartigen Einstufungen nicht gefeit. Während das eine ein Technikmuseum ist, betitelt sich das andere als ethnologisch, ein Drittes als regional und ein Viertes als Geschichtsmuseum. Wiederum andere haben sich gänzlich auf Kinder spezialisiert, auf Kunst, Naturkunde und vieles mehr. Zusammen zeigen sie die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft. Aber welche eigentlich? Die Deutsche, die europäische oder die der gesamten Menschheit?

Schwerpunkte, Zielgruppen und der besagte Querschnitt

Um die Arbeit zu erleichtern, behilft man sich im Museumswesen mit weiteren Kategorisierungen. Dahinter stehen vor allem die Fragen: Was wollen wir zeigen? (Die Antwort darauf ergibt den sogenannten Schwerpunkt eines Museums). Und wen wollen wir damit erreichen? (Ob Alter, Orientierung, Glaube, Sozialstatus – die Rede ist letztendlich immer von einer Zielgruppe). Doch hinter dem WOLLEN steht auch ein MÜSSEN, denn als gemeinnützige Einrichtung steht das Museum als Institution vor einer ebenso großen wie wichtigen und auch schwierigen Aufgabe. Es müssen alle oder zumindest möglichst viele der einzelnen Gruppen einer Gesellschaft zu Wort kommen und das auf eine Weise, die vollkommen frei ist von jeglicher Form der Auf- oder Abwertung. Um dies realisieren zu können, bedarf es vor allem einer Sache: der Zusammenarbeit – etwas, das einfach klingt und doch bis heute viel zu selten oder in einem nicht ausreichend breiten Rahmen geschieht. Wer sollte hier mitreden dürfen? Museumsangestellte? Wissenschaftler? Besucher? Bewohner der Stadt oder des gesamten Landes, in dem das Museum steht? Im Grunde genommen ALLE! Doch wie soll das gehen? Nur, wer sich gezielt damit auseinandersetzt, was dem eigenen Haus fehlt, hat die Chance, seine Ausstellung einem breiteren Publikum auf gerechte Weise zu öffnen.

Migration integrieren, aber wie?

Ebenso wie Alter, Geschlecht, Religionszugehörigkeit und Sozialstatus ist Migration ein Begriff, den wir verwenden, um eine bestimmte Gruppe von Menschen zu beschreiben. Aktuell verbinden Viele diesen Begriff mit Flüchtlingen. Doch Migration ist mehr als das. Es gibt sie in den unterschiedlichsten Formen, von denen die Fluchtmigration nur eine einzelne ist. Tatsächlich beschreibt das Wort »Migration« jegliche Form von Wanderbewegung, die mit einem Wohnortwechsel verbunden ist. Dieser kann dauerhaft, freiwillig oder gezwungen sein und durch die unterschiedlichsten Faktoren in Gang gesetzt werden.

Betrachtet man die gesamte Geschichte des Menschen, wird deutlich, dass es Migration schon immer gegeben hat. Sie ist ein Teil von uns und das seit jeher – der Normalfall, nicht die Ausnahme. Dennoch findet sich in einem Großteil der Museen kaum ein Wort darüber und wenn, dann hauptsächlich in Verbindung mit der Thematik von Arbeitsmigration. Doch auch Asylsuchende, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die nach den Weltkriegen nach Deutschland kamen oder Bildungsmigranten haben ein Anrecht darauf, in den Museen repräsentiert zu werden. Denn sie sind ebenso ein Teil unserer Gesellschaft wie jene Menschen, die von Geburt an in Deutschland leben, und prägen das Land ebenso, wie alle anderen. Wer dies (an)-erkennt, hat bereits einen großen Schritt in die richtige Richtung getan. Aber er steht zwangsläufig vor einem Problem – denn aus der Migration selbst, lässt sich im Grunde keine einheitliche Zielgruppe machen. Migranten sind überall. Die einen ziehen von Breitscheid nach München, die anderen von Deutschland in die USA und wieder andere von Syrien nach Europa. Es gilt also, die Migration als einen allgegenwertigen Themenkomplex zu erkennen, der sich in allen Gesellschaftsschichten findet.

Nur mit dieser Einsicht lässt sich ein ganzheitliches Bild in den Ausstellungen von Museen realisieren. Dies führt dazu, die vorhandenen Sammlungen hinterfragen zu müssen. Es eröffnet aber auch die Möglichkeit, neu zu sammeln und dies in gemeinschaftlicher Arbeit mit Verbänden, Zeitzeugen, Stadtbewohnern und Vertretern der unterschiedlichsten Gruppen einer Gesellschaft zu tun.


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