Das Passdilemma

 »WOW! Niemals hätte ich gedacht, dass ich so einen treffen würde!«

Mein neuer Professor an der Universität starrt mich an, mit einem Blick, den ich sonst nur in den Gesichtern von Zoobesuchern wiederfinde, die gerade einen wahrhaftigen Exoten vor sich haben. Sein nackter Zeigefinger ist auf mich gerichtet und seine Augen groß wie Teetassen. Für einen kurzen Augenblick sehe ich imaginär die Gitterstäbe eines Käfigs zwischen uns – bin regelrecht erstarrt und schockiert über diese sonderbare Situation. Doch ehe ich etwas auf seinen Ausruf erwidern kann, fährt er bereits fort:

»Fantastisch! Absolut fantastisch! Wenn man Sie ansieht, würde man nicht mal im Traum darauf kommen, dass Sie so einer sind! … Ihr Deutsch … Fehlerfrei! Und die Grammatik – einfach nicht zu glauben, dass Sie Dänin sind!«

Zugegeben – als Mitglied der dänischen Minderheit bin ich einiges gewohnt. Über die Jahre habe ich mir ein Fell wachsen lassen, an dem mittlerweile so manches Vorurteil gekonnt abprallt. Mit dem Finger hatte bis dahin allerdings noch niemand auf mich gezeigt. Aber es hilft ja nichts – optimistisch bleiben, ist die oberste Divise. Also reagierte ich mit der einzig möglichen Antwort:

»Na, das will ich doch hoffen – immerhin bin ich Deutsche!… Ich kann Ihnen gerne meinen deutschen Pass zeigen, wenn Sie wollen!«

Die absolute Verwirrung war ab diesem Moment vorprogrammiert. Aber das machte nichts, denn dies war mein Terrain. Eine Konfus-Gegend, die ich sowohl nördlich als auch südlich der Grenze immer wieder angetroffen habe und der ich mit einer ziemlich hohen Wahrscheinlichkeit auch immer wieder begegnen werde. Was für uns so selbstverständlich und logisch erscheint, ist für Außenstehende oft schwer zu greifen.

Wie ist es möglich, einer Minderheit anzugehören und eine andere Staatsbürgerschaft zu besitzen? Warum studieren diese Menschen in Dänemark, auf Dänisch, wie die Dänen und sind dennoch deutsch? Es ist schon verwirrend. Andererseits ist es aber doch ganz einfach oder etwa nicht?

No responses yet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Exklusiv auf KuKu

Kennt ihr schon den readTicker?Rezensionen schreiben kann jeder.
Im readTicker nehme ich Bücher oder Auszüge daraus genauer unter die Lupe und schreibe während des Lesens darüber. Behandelt werden Themen,  die zum Nachdenken, Diskutieren und Augenöffnen anregen sollen.