Königliche Abguss-Sammlung Kopenhagen, Innenansicht

Warum die Schließung der Königlichen Abguss-Sammlung in Kopenhagen ein Skandal ist

Es gab einmal eine Zeit, in der jeder, der etwas auf sich hielt, nach antiker Skulptur trachtete. Das Besitzen eines Sokratesporträts, eines Diskuswerfers oder einer Venus gehörte zum guten Ton und unterstrich nicht nur den Bildungsstand des Besitzers, sondern auch dessen sozialen Status. Wer sich eines der kostspieligen Originale aus Italien nicht leisten konnte oder schlichtweg nicht schnell genug agierte, griff auf die günstigere Version des Gipsabgusses zurück – also einer Kopie der Originalskulptur. Und so entstanden in ganz Europa Sammlungen, die entweder zu großen Teilen oder sogar komplett aus Gipsabgüssen bestanden.

Die Königlichen Abguss-Sammlung in Kopenhagen umfasst eine große Spannbreite von ägyptischer über griechische und römische bis hin zu christlicher Kunst.
Die Sammlung der Königlichen Abguss-Sammlung in Kopenhagen umfasst eine große Spannbreite von ägyptischer über griechische und römische bis hin zu christlicher Kunst. Darunter befinden sich auch viele Kopien der sogenannten Meisterwerke antiker Skultpur. Foto: Pressimage – Statens Museum for Kunst, Kopenhagen

Damals und heute

Neben Privatpersonen griffen insbesondere Bildungsträger wie Universitäten oder Museen auf diese kostengünstigere Version zurück, denn es ging allen voran um die Bildung anhand des Motivs und nicht um die Originalität dahinter. Auch heute lernen wir noch viel über das Leben in der Antike, indem wir uns die Skulpturen der archaischen, klassischen oder auch hellenistischen Periode in Museen anschauen. Doch es hat sich vieles geändert, seitdem die ersten Museen während der Aufklärungszeit ihre Türen öffneten. Abgüsse sind eine Seltenheit geworden. Die Wenigsten wollen sie sehen, denn es geht doch allen voran darum, ein echtes Meisterwerk aus der Antike zu bestaunen. Dies verhielt sich bereits während der beiden Weltkriege so – denn bei Gefahr pflegte man zuerst die Marmorskulpturen und danach die Gipse in Sicherheit zu bringen – und es hat sich auch heute nicht viel an dieser Geringschätzung geändert. Deshalb sind jene Abguss-Sammlungen, die bislang überlebt haben, meist in eigenen Einrichtungen untergebracht, deren Ort kaum jemand kennt, und von denen die Wenigsten etwas wissen.

Kopenhagen zeigt, wie es nicht gehen sollte

Die Königliche Abguss-Sammlung in Kopenhagen ist ein trauriges Beispiel dafür, was geschieht, wenn Geringschätzung durch mangelndes Wissen und politische Umstrukturierungen in Form von finanziellen Einsparungen aufeinandertreffen. Sie musste am 1. März 2016 schließen, denn das Staatliche Museum für Kunst, zu dem sie gehört, hat nun für die kommenden vier Jahre rund 2 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Vor allem die jährliche Besucherzahl von 8000 bis 10.000 brach der Königlichen Abguss-Sammlung letztlich das Genick – denn wenn es hart auf hart kommt, sprechen Zahlen, nicht der eigentliche Wert einer Sammlung. Und dieser ist tatsächlich größer, als man es im ersten Moment vermuten würde. Denn es geht nun einmal nicht darum, aus welchem Material die Skulpturen bestehen, sondern darum, wofür sie stehen und welchen unschätzbaren Mehrwert sie uns allen, trotz des minderwertig erscheinenden Materials, bieten.

Insgesamt zähen über 2000 Stücke zu der Königlichen Abguss-Sammlung von Kopenhagen.
Insgesamt zähen über 2000 Stücke zu der Königlichen Abguss-Sammlung von Kopenhagen. Gemeinsam vermittelten sie über 4000 Jahre Geschichte. Foto: Pressimage – Statens Museum for Kunst, KopenhagenFoto: Pressimage – Statens Museum for Kunst, Kopenhagen

Der Gipsabguss: das Fenster zur Vergangenheit

Auch, wenn es vielen widerstrebt dies anzuerkennen, so gehört der Gipsabguss ebenso zu der Sammlungsgeschichte unserer Museen dazu, wie eine jede Marmorskulptur, ein jedes Gemälde, eine jede Vase und alle anderen Objekte, die im Laufe der Zeit von den Institutionen gesammelt worden sind. Der Abguss einer Skulptur ist nicht nur die Kopie eines Werkes, das die Gelehrten vor unserer Zeit als besonders Wichtig erachteten – er ist eine Zeitkapsel, die mitunter mehrere Jahrhunderte alt sein und uns somit Dinge zeigen kann, die uns heute nicht mehr sichtbar oder gar bekannt sind.

Die ersten Ausgrabungen von Pompeji und Herculaneum liegen mittlerweile weit zurück. Ein jedes Werk, das dort seit dem frühen 18. Jahrhundert ergraben wurde, ist ein Unikat und wiederum ein Großteil von ihnen gilt seit damals als Meisterwerk der Antike. Diese Skulpturen haben nicht nur eine lange Zeit unter der Erde verbracht, sie hatten auch ein „Leben“ davor und eines danach, sind viel gereist – erst durch Eroberungszüge (bspw. während der Napoleonskriege), später als Teil von Sonderausstellungen – und vieles mehr. Während einige in Museen oder auch in privaten Sammlungen ein Dach über dem Kopf erhielten, stehen andere seit ihrem Fund in einer der vielen prächtigen Gartenanlagen, die sich in ganz Europa finden lassen. Was ist von diesen Skulpturen noch übrig? Können wir sie noch ebenso betrachten, wie vor rund 200 Jahren? Nein! Denn die Verwitterung hat Spuren hinterlassen und sie sind mitunter nur noch ein Schatten ihrer selbst. Lediglich ein Gipsabdruck, der zu Fundzeiten von einem solchen Werk genommen wurde, vermag uns zu zeigen, was heute verschwunden ist. Dies gilt selbstverständlich ebenfalls für all jene Werke, die im Laufe der Zeit zerstört oder vom Schwarzmarkt geschluckt wurden. Allein aus diesem Grund sollte den europäischen Gipsabgüssen also ein Dank geschuldet sein. Schließlich geben sie uns Blicke in die Vergangenheit, die an Wert nicht zu übertreffen sind.

Der Witz der ganzen Original-Debatte

Ein Original sind Abgüsse natürlich dennoch nicht, auch, wenn sie diesem rein optisch über alle Maße entsprechen. Doch was macht das schon? Streng genommen ist auch der muskulöse Diskuswerfer, die anmutige Venus und das Porträt eines griechischen Philosophen nichts, als die römische Kopie eines griechischen Originals. Ob dies den Museumsbesuchern bewusst ist, die auf der Suche nach dem Original-Erlebnis durch die riesigen Hallen des British Museum, dem Louvre oder auch den Staatlichen Museen von Berlin schreiten? Das wage ich, für den Großteil der Fälle, zu bezweifeln.

Blick in die Ausstellung der Königlichen Abguss-Sammlung Kopenhagen.
Foto: Pressimage – Statens Museum for Kunst, Kopenhagen

Schlusswort

Mit der Schließung der Königlichen Abguss-Sammlung Kopenhagens verschwindet nicht nur eine bedeutende Sammlung im Dunkel, sondern auch ein Teil der Stadtgeschichte sowie der gesamteuropäischen Kunst- und Kulturgeschichte. Doch auch, wenn der Aufschrei seit dem 1. März noch so groß ist – die Grundhaltung gegenüber Gipsabgüssen wird sich auf die Schnelle kaum ändern, nicht in Dänemark und auch nicht im Rest Europas. Es bleibt nur zu hoffen, das beispielsweise Dinge wie der Vormarsch von 3-D-Prints in Ausstellungen zu einer neuen Sichtweise der noch immer vorherrschenden Original-Kopie-Debatte beitragen werden.

Bis dahin heißt es: Augen offenhalten und neben den Hauptinstitutionen der europäischen Städte einfach mal den Abguss-Sammlungen einen Besuch abstatten. Sie sind es Wert – keine Frage!

 

 

 

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